Sind Islay-Brennereien der neue Mainstream?

Whisky.de feiert kommendes Jahr sein 30-jähriges Firmenjubiläum. 1993 begannen wir (damals noch als The Whisky Store) mit 11 Kisten Single Malt Whisky unseren Verkauf. Nur eine dieser 11 verschiedenen Single Malt Whiskyflaschen stammte von der Insel Islay.

Was ist überhaupt die Insel Islay? Ganz offiziell heißt sie Isle of Islay. Und wird von den Einheimischen kurz ‚Ei-la‘ ausgesprochen. Sie gehört zur Gruppe der inneren Hebriden und ist von der Halbinsel Kintyre aus über eine 1,5-stündige Fährfahrt zu erreichen. Zuvor braucht man gute zwei Stunden, um vom Flughafen in Glasgow zum Fährhafen zu kommen. Wer also auf Islay Urlaub machen will, hat eine gehörige Anfahrt zu absolvieren. Es fliegt täglich eine kleine Maschine von Glasgow auf die Insel. Doch wir bevorzugen die Fahrt mit dem Auto entlang der malerischen Süß- und Salzwasserlochs in Schottland.

Mit diesem zeitlichen Aufwand die Insel zu erreichen, blieben die Single Malt Whisky-Brennereien auf Islay lange Jahrzehnte von den großen Touristenströmen verschont. Und was die Menschen persönlich nicht gesehen haben, verbreitet sich auch schlechter im Kreis der Whisky-Enthusiasten. Ein gutes Beispiel für Bekanntheit ist Glenfiddich in Dufftown in der Speyside. Sie hatten schon vor 50 Jahren ein Besucherzentrum und verkauften dort ihren Single Malt Whisky – damals noch Pure Malt genannt – an die vorbeikommenden Touristen. Diese erzählten es in alle Welt weiter und damit schaffte es Glenfiddich auf Platz 1 der weltweiten Single Malt Charts, den sie nach kurzzeitiger Unterbrechung auch heute noch innehaben.

Das erste Mal besuchte ich die Insel Islay im Jahr 1995. Fliegen war damals sehr teuer und so stiegen wir in Glasgow ins Auto und nahmen die Fähre vom Fährhafen Tarbert nach Port Ellen auf Islay. Bei diesem ersten Besuch hatten nur die damals besser bekannten Brennereien ein Besucherzentrum. Bunnahabhain, Caol Ila und Ardbeg waren reine Produktionsbetriebe und man suchte ein Besucherzentrum vergebens. Bruichladdich und Port Ellen waren geschlossen und Kilchoman (*2005) und Ardnahoe (*2018) existierten noch nicht. Aber die Beschäftigten waren freundlich und waren froh, dass aus dem fernen Ausland Besucher kamen, die Fotos machten und in die Heimat mitnahmen und sie Dritten zeigten. Noch heute finden Sie diese alten Fotos bei uns auf Whisky.de in der Brennerei-Datenbank.

Die Besonderheit des Malt Whiskys von Islay ist der hohe Rauchgehalt, der in Parts per Million (ppm) angegeben wird. Schreckte dieser hohe Rauchgehalt viele damalige Whisky-Genießer ab, so entwickelte sich recht bald eine Gruppe an Liebhabern, die vom Rauch nicht genug bekommen konnten. Mit diesem Satz tue ich einigen Whisky-Liebhabern etwas unrecht. Denn es gab schon lange ein paar rauchige Whiskys von der Insel Islay mit guten Absatzzahlen. Besonders zu nennen sind die Single Malts von Bowmore, die sich durch einen mittelstarken Rauch und Sherryfasslagerung auszeichneten. Eine Kernanhängerschaft auf der gesamten Welt hatte aber auch die Brennerei Laphroaig mit ihrem extrem phenolischen Rauch, der ihr Markenzeichen war und immer noch ist.

Was bewirkte die Initialzündung für den riesigen Erfolg der Single Malts von Islay? Es werden zahlreiche Effekte gewesen sein. Einer der größten war Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Einführung der ‚Classic Malts of Scotland‘ des damaligen Unternehmens United Distillers (heute Diageo). In einem genialen Schachzug vermarkteten sie sechs Single Malts von ihren Brennereien gemeinsam. Dabei stellten sie sechs verschiedene Regionen Schottlands vor. Statt Einzelkampagnen für sechs verschiedene Whiskys zu machen, bot man dem Kunden mehrere Flaschen mit unterschiedlichem Charakter an. Auch gemeinsam zum Kennenlernen im Set als Miniaturen. Und eine dieser Flaschen war der rauchige Lagavulin 16 Jahre von der Südküste der Insel Islay.

Sicherlich war das nicht der einzige Grund. Denn schon 1982 brachte die Distillers Company Limited – die Vorgängerfirma zu United Distillers – die ‚The Ascot Cellar‘ Serie mit vier Flaschen heraus. Darunter auch den Lagavulin mit einem Alter von 12 Jahren. Doch diese Serie kam zu früh und brachte noch nicht den Durchbruch. Meine Vermutung geht heute dahin, dass die weitflächige Verbreitung des World-Wide-Webs ab 1993 die Globalisierung extrem beschleunigte. Und Globalisierung bedeutet nicht nur von Amerika und Asien zu uns, sondern auch in die andere Richtung.

Mit dieser Globalisierung gingen auch wir mit unserem Versandhandel 1994 ins Internet und boten unter unseren Whiskymarken auch Lagavulin, Laphroaig und Bowmore an. Wir zogen damit Kunden an, die diese Whiskys von ihren Urlaubsreisen kannten, aber zu Hause keine Bezugsquellen fanden und nun endlich ihre Wünsche wahr werden lassen konnten.

Mit dieser Initialzündung bei uns in Deutschland und auf der ganzen Welt, entschlossen sich mehr und mehr Liebhaber ‚ihre‘ Brennereien auch auf Islay zu besuchen. In Folge wurden Besucherzentren gebaut bzw. erweitert und aus dem Fèis Ìle Festival – ursprünglich ein Event zur Förderung der gälischen Kultur – wurde in den 90ern durch die beginnende Beteiligung der Brennereien ein Whisky-Event.

So kam eines zum anderen und im Jahr 2000 startete die Brennerei Bruichladdich mit riesigen Marketingkampagnen wieder die Produktion. Zum gleichen Zeitraum brachte Caol Ila, die zuvor nur für die Blend-Industrie gearbeitet hatte, ihre ersten eigenen Single Malt Whiskys heraus. 2005 folgte Kilchoman als Farmbrennerei und schließlich ging 2018 Ardnahoe in Betrieb.

Die Nachfrage nach Malts von Islay hat in den vergangenen Jahrzehnten dermaßen zugenommen, dass wir Jahre bei Whisky.de hatten, in denen wir 40% Whiskys von der Insel verkauften. Dieser Boom, der nicht nur bei uns stattfand, sorgte dafür, dass die Lager der Brennereien immer kleiner wurden und damit die Preise stiegen. Heute können die Islay-Brennereien einen deutlichen Mehrpreis zu ihren Schwesterbrennereien auf dem Mainland verlangen. Und da Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, sorgten diese Preissteigerungen für sinkende Absatzmengen und gleichzeitig wieder ansteigende Lagermengen.

Heute sind die Whiskys von der Insel Islay tatsächlich im Mainstream angekommen. Ich will sogar noch weiter gehen: Sie haben die Spitze in der schottischen Whiskyproduktion erreicht. Denn nirgendwo wird so viel Single Malt Whisky aus einer begrenzten Region verkauft, wie von Islay. Sicherlich ist die Speyside als ganzes größer und hat einen deutlich größeren Output. Doch im Verhältnis zur Größe der Insel mit etwas über 3.000 Einwohnern ist der Whisky-Output gewaltig.
Der Erfolg von Islay mit seinen damals ungewöhnlich rauchigen Whiskys hat Nachahmer auf dem Mainland gefunden. Mehr und mehr Brennereien produzieren heute etliche Wochen pro Jahr stark rauchigen Whisky. Einmal um ihre Schwester-brennereien von der Arbeit für die Blend-Industrie zu entlasten, aber auch um im Trend der starkrauchigen Whiskys ihren Teil am Kuchen abzubekommen.