Welche Alkoholstärke ist die richtige?

Darf es etwas mehr sein?

Genießen Sie Ihren Whisky am liebsten pur? Ohne die Zugabe von stillem Wasser? Oft hört man von Genießern, dass sie sich ihren Whisky nicht verwässern wollen. Und wenn der Whisky so aus dem Fass kommt, dann wäre es authentisch, ihn auch in dieser Stärke zu genießen. Früher hätte man das so gemacht und heute würden es die Schotten immer noch auf diese Weise machen.

Stimmt das? Was ist Mythos und was Realität? Warum hat jeder Whisky pro Fass eine individuelle Stärke? Und warum gibt es überhaupt standardisierte Stärken von 40% oder 43%.

Whisky wird in Schottland in der Regel mit 63,5% vol ins Fass gefüllt. Der Grund dafür ist nicht eindeutig belegt. Es gibt zwei Theorien. Eine hat mit den Verbrauchssteuern bzw. Zoll zu tun. Eine Harmonisierung erleichterte es den Brennereibesitzern und Zollbeamten, die entsprechenden Steuern zu berechnen. Die zweite Theorie greift die frühere Handhabe der Brennereibesitzer auf, Fässer für die Herstellung von Blends, ganz pragmatisch zu tauschen. Wenn man zwei gleich alte und gleich große Fässer tauscht, dann sollte sich trotz Verdunstung während der Reifung in beiden Fässern etwa die selbe Menge an Alkohol befinden, wenn mit identischem Alkoholgehalt eingefüllt wurde.

Das Argument, dass Whisky nach der Reifung bei diesem Anfangsalkoholgehalt am besten schmeckt, lässt sich nicht halten. Denn egal ob es sich um frische oder gebrauchte oder um kleine oder große Fässer handelt, man füllt mit 63,5% ein. Wenn es also mit dem Geschmack zu tun hat, dann gilt das nur sehr pauschal für die gesamte Industrie. Von diesem Ausgangsalkoholgehalt auf die Qualität eines einzelnen Whiskys zu schließen, wird der Problemstellung aber nicht gerecht.

Betrachten wir zunächst einmal den minimalen Alkoholgehalt eines Whiskys von 40%. Dieser Alkoholgehalt hat nichts mit dem Geschmack eines Whiskys zu tun, sondern ist eine gesetzliche Auflage. Nach EU-Verordnung hat ein Whisky einen Minimumalkoholgehalt von 40% aufzuweisen. Vor der Regulierung durch die EU gab es in Frankreich Whiskys mit Alkoholgehalten von 38,5%. Dies entspricht heute immer noch dem unteren Limit von Wodka. US-amerikanische Light-Whiskeys wiesen in den 70er Jahren noch deutlich geringere Alkoholgehalte um die 25% auf.

Die erste wirklich qualitätsbezogene Alkoholstärke sind die hin und wieder noch sichtbaren 43%. Früher war diese Stärke vor allem im Duty-free-Handel vertreten. Man konnte dem Konsumenten etwas mehr Qualität bieten, ohne dafür die hohe Alkoholsteuer bezahlen zu müssen. Nach der Abschaffung des Duty-frees in der EU, fielen diese extra 3% recht bald dem Rotstift der Konzerne zum Opfer. Es gibt zwar noch 1 Literflaschen im Travel-Value. Doch der Alkoholgehalt beträgt bei diesen Flaschen heute gleichmäßige 40%.

Die Einführung der nicht kühlgefilterten Single Malt Whiskys in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts führte zu einem sprunghaften Anstieg des Alkoholgehalts auf 46%. Doch auch hier ging es nicht um den Geschmack, sondern um eine Qualitätsproblematik für den Durchschnittskonsumenten. Nicht kühlgefilterter Whisky wird trübe, wenn man ihn auf Eis genießt. Dem kann man entgegen wirken, wenn man den Alkoholgehalt auf 46% erhöht. Dann bleiben die Trubstoffe länger in Lösung und der Whisky klar.

Neben diesen heutigen Standardwhiskys mit 40%, 43% und 46% gibt es aber schon seit langer Zeit einzelne Whiskys, die mit 57% oder 57,1% abgefüllt wurden. Diese 57% entsprechen den 100 Proof des alten, imperialen Alkoholmesssystems. Um die Entwicklung dieses Systems ranken sich ebenfalls einige Mythen. So gibt es Unterschiede in der Farbe der Flamme, wenn man einen Whisky unter 100 Proof und über 100 Proof mit Schwarzpulver vermischt und anzündet. Im ersten Fall brennt die Flamme blassblau und im zweiten mit deutlich sichtbarer gelber Flamme. Dieser damals verwendete Test zur Bestimmung des Alkoholgehalts führte zur Justierung der Proof-Skala auf eben diese 57% für 100 Proof. Vor der Einführung der wissenschaftlichen Messtechnik gab es damit nur Underproof, Proof und Overproof Whiskys. Erst mit Aufkommen der Wissenschaft konnte man diese Zahlen genauer bestimmen und auch die Proofskala unterteilen. So entsprechen 3% vol 5 Proof. Der Glenfarclas 105 (Proof) hat damit genau 57+3 = 60%.

Und auch hier war nicht der Geschmack der Hauptgrund für die exakte Alkoholstärke. Es ging vor allem um die Abgrenzung des Produkts gegen andere Marktmitbewerber, die nach wie vor ihre Whiskys mit 100 Proof = 57% anboten.

Der Transport von Waren war im 19. Jahrhundert, als der weltweite Siegeszug des Whiskys begann, eine aufwändige und teure Angelegenheit. Vor der Erfindung der industriellen Glasflasche erfolgte der Transport vor allem in den zur Reifung verwendeten Fässern. Am Zielmarkt angekommen, wurden diese Whiskys entweder direkt ausgeschenkt oder in kleinere Gebinde wie Krüge und Karaffen umgefüllt. Da vielen Genießern dieser Whisky direkt aus dem Fass zu stark war, setzten sich Wasserkrüge in den Bars der Welt durch. Hier konnte jeder nach seinen eigenen Vorlieben seinen Whisky mit stillem Quellwasser verdünnen. Und manch ein Wirt half etwas nach und reduzierte die Stärke des Whiskys noch vor dem Ausschank im Fass.

Heute werden grob geschätzt 1% aller schottischen Whiskys in Fassstärke abgefüllt. Dabei gibt es zwei Schwerpunkte. Zum einen füllen die kleinen und unabhängigen Abfüller den höchstwertigen Teil ihrer Ware in Fassstärke ab. Bei einigen besonders kleinen Abfüllern wird sogar aller Whisky in Fassstärke abgefüllt. Die großen Whiskykonzerne haben diesen Trend aufgenommen und füllen den herausragenden Teil ihrer Produkte ebenfalls in Fassstärke in die Flasche.

Interessant ist die Preisgestaltung dieser Flaschen. Rechnet man den Preis auf eine Verdünnung auf 40% oder 43% herunter, so bleibt dennoch ein deutlicher Aufschlag zurück. Das ist verständlich. Das beste Prozent unseres Whiskys kostet natürlich etwas mehr als einfach Ware.

Bleibt am Ende die Frage übrig, ob sie nun ihren Whisky in Fassstärke verdünnen oder eben nicht. Viel wird darüber philosophiert, dass in einem Fassstärkewhisky mehr Aromastoffe pro Volumen enthalten sind und dass er damit intensiver schmeckt. Doch zwei andere physikalische Effekte sprechen dagegen. Auf der einen Seite ist starker Alkohol ein Betäubungsmittel, ja sogar ein Nervengift. Zudem zieht er Wasser an und dehydrierend damit unseren Gaumen. Die Geschmacksrezeptoren in Nase und Mund werden durch starken Alkohol betäubt und damit außer Gefecht gesetzt. Sie schmecken also tatsächlich weniger. Auf der anderen Seite entzieht der starke Alkohol ihren Zellen im Mundraum das Wasser, was sie in ihrer Funktion ebenfalls einschränkt.

Der zweite physikalische Effekt, der für eine Verdünnung mit Wasser spricht, ist das abnehmende Lösungsvermögen für Aromastoffe mit sinkendem Alkoholgehalt. Die Aromen haben damit keine andere Chance, als aus dem Whisky aufzusteigen. Und genau das ist der Zeitpunkt, zu dem wir sie angenehm mit der Nase aufnehmen können.