The Angel's Share...

und der Münchner im Himmel

Wer sich mit der Reifung von Whiskys in den alten, dunklen Lagerhäusern Schottlands beschäftigt hat, der ist auch schon mal über den Ausdruck 'The Angel's Share', den 'Engelsanteil' gestolpert. Was hat es damit auf sich? Warum gerade Engel?

Die Erklärung für die Engel ist vergleichsweise einfach, auch wenn der Teufel hier im Detail steckt. Es geht darum, dass der Rohbrand aus Getreide für mindestens drei Jahre in Eichenholzfässern reifen muss, bevor er sich laut Gesetz Scotch Whisky nennen darf. Das Eichenholz für das Fass stammt von Bäumen, die mindestens 50 bis 80 Jahre alt sind. Meist sind sie jedoch deutlich älter. Und während dieses langen Baumlebens widerfährt dem Baum so einiges. Der Eine kämpft mit Trockenheit, der Andere gegen die Fäulnis in nasser Umgebung. Manche stehen dicht gedrängt und können sich auf den Windschutz der Anderen verlassen. Andere müssen extrem stark werden, weil sie einzeln in weiter Flur stehen und den Stürmen trotzen müssen. Zwar heißt es, es gäbe nur amerikanische Weißeiche und europäische Eiche. Doch auch innerhalb der einzelnen Gattungen gibt es Untersorten.

Von einem geschlagenen Eichenbaum wird so viel wie möglich als Nutzholz verwendet. Damit gibt es große Bretter aus dem unteren Bereich, aus denen dann viele Dauben für die Whiskyfässer geschnitten werden. Das Gipfelholz dagegen führt zu einer geringeren Ausbeute und mehr Abfall.

Jedes Fass wird somit schon bei der Herstellung zum Unikat. Eichenholz ist zudem ein Hartholz, dessen Poren, im Gegensatz zu den Weichhölzern, nicht mit Harz gefüllt sind. Ein Eichenfass kann durch die Poren der Dauben atmen, was ein Fass aus harzigem Kiefernholz nicht kann. Deshalb schreiben die Schotten zwingend Eichenholz für die Fässer vor. Im restlichen Europa dürfen auch andere Holztypen verwendet werden.

Lassen Sie uns nun zum Anteil der Engel zurück kommen. Sie befüllen ein solches Eichenholzfass im Winter mit Rohbrand und legen es zum Reifen in ein altes, ehrwürdiges Lagerhaus, das bereits zu Zeiten von Queen Victoria verwendet wurde. Zuerst saugen sich die trockenen Dauben mit dem Rohbrand voll. Über die kommende Zeit wird der Alkohol, und zum Teil auch das Wasser, Stoffe aus den Dauben ins Innere des Fasses extrahieren. Damit dabei auch die richtigen Stoffe extrahiert werden können, wird das Fass auf der Innenseite zuvor einige Zeit auf über 150 Grad erhitzt (getoastet), um dann final kurz ausgebrannt zu werden und die gewünschte Holzkohleschicht im Fass zu erzeugen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Nun kommt der Frühling, die Temperaturen steigen und der Rohwhisky dehnt sich aus. Diese Ausdehnung ist nicht zu vernachlässigen und kann durchaus 1% des Volumens ausmachen. Um wie viel sich der Whisky ausdehnt, hängt von der Alkoholstärke im Fass und dem Temperaturunterschied zwischen Innen- und Außentemperatur ab. Und wo soll der Rohwhisky hin, wenn nicht weiter in die Dauben hinein? Doch nachdem sich die Dauben mit Whisky gesättigt haben, ist der Flüssigkeitsspiegel im Fass etwas gesunken. Es bildet sich ein Hohlraum oberhalb des Rohwhiskys, der mit einem Gemisch aus Alkohol- und Wasserdampf nebst etlichen Aromastoffen gefüllt ist. Dieses Gemisch erhitzt sich ebenfalls und baut einen leichten Überdruck auf, der durch die Poren des Fasses entweicht.

Sinkt die Temperatur des Whiskys im Fass wieder, so zieht sich der Whisky erneut zusammen und zieht von außen frische Luft ins Innere. Diesen Vorgang kann man in einem Whiskylagerhaus wunderbar mit seiner Nase verfolgen. Meist ist es im Inneren dämpfig feucht und über allem liegt ein wundervoller Eichen- und alkoholischer Whiskyduft.

Über ein Jahr verliert ein Whiskyfass zwischen 1,5% und 2,5% an Inhalt. Wo ist er geblieben? Nachdem die alkoholgeschwängerte Luft das Fass verlassen hat, steigt sie zum Himmel auf. Alkoholdampf ist deutlich leichter als Luft. Und da auch in Schottland geschichtlich bedingt die Engel auf den Wolken sitzen, Harfe spielen und Hosianna rufen, glaubte der Schotte in der Vergangenheit, dass sich die Engel bevorzugt über den Lagerhäusern der Whiskybrennereien aufhielten. Das war sicherlich auch ein Ansporn für einfach gestrickte Seelen, sich im diesseitigen Leben einwandfrei zu verhalten, um sich für das ewige Leben seinen Platz auf der besten Wolke zu verdienen.

Kommen wir von der Liturgie zurück zur Wissenschaft. Sicherlich ist Ihnen die Zahl von 1,5% bis 2,5% im vorigen Absatz enorm groß vorgekommen. In der Literatur ließt man häufiger Werte von 0,5% bis 1,5% Verlust an Alkoholstärke pro Jahr. Hier liegt der Teufel im Detail. Es verdunstet nämlich nicht nur Alkohol aus dem Whisky, auch wenn Alkohol (Ethanol) einen deutlich höheren Dampfdruck (58hPA) bei Raumtemperatur als Wasser (ca. 23hPa bei 100% relative Feuchte) aufweist. D.h. es verdunstet nicht nur Alkohol, sondern gleichzeitig auch eine Menge Wasser. Das führt zu einem größeren Inhaltsverlust als der Verlust an Alkoholstärke vermuten lässt. Nimmt man ein Alkoholmessgerät zur Hand und misst eine Abnahme des Alkoholgehalts von 6 Prozentpunkten nach 12 Jahren (0,5 Prozentpunkte pro Jahr), so kann der Inhalt des Fasses durchaus um 24% abgenommen haben.

Sie haben vielleicht meine besondere Wortwahl bei den Prozentpunkten festgestellt. Die Verdunstungsrate aus Holzfässern ist alles andere als konstant über die Jahre. Auf der einen Seite nimmt die Verdunstung ab, weil der Alkoholgehalt im Fass über die Jahre sinkt und damit auch der Dampfdruck des Gemischs. Auf der anderen Seite bilden sich auf der Oberseite des Fasses hin und wieder dünne Spalte, die eine Verdunstung fördern. Man kann deshalb nicht von einem konstanten Verlust über die Jahre ausgehen. In Ländern mit großer sommerlicher Hitze wie in Indien oder Taiwan, verdunsten pro Jahr bis zu 12% des Fassinhalts.

Es gibt aber auch seltene, besondere Umstände, bei denen mehr Wasser als Alkohol verdunstet. Dies tritt besonders bei hohen, modernen Lagerhäusern auf, in denen sich hohe Temperaturen unter den Blechdächern bilden. Hier steigt der Dampfdruck des Wassers in der erhitzten, trockenen und alkoholgeschwängerten Luft stark an. Dabei verdunstet besonders viel Wasser.

Was ist das Ziel eines Whiskyherstellers? Möglichst viel Whisky zu produzieren. Und Whisky, der als Angel's Share verloren gegangen ist, lässt sich nicht mehr verkaufen. Dennoch braucht der Whisky seine jahreszeitliche Atmung, um wirklich gut zu werden. In USA gab es deshalb Versuche, Lagerhäuser im Winter für 14 Tage auf Sommertemperaturen aufzuheizen und so zwei Reifungszyklen pro Jahr durchzuführen. Ähnlich manchen Baumschulen in Skandinavien, die im Sommer ihre Anzuchthäuser künstlich verdunkeln, um den jungen Baum pro Jahr mit zwei Jahresringen auszustatten.

Am Ende hat sich die künstliche Reifung nicht bewährt. Aber man ist bei all den Versuchen darauf gekommen, was für einen großen Einfluss das Holz auf den finalen Geschmack eines Whiskys hat. Und so experimentiert man heute mit besonders langsam gewachsenem Eichenholz von den Ozark Mountains in Missouri und besonderen natürlichen Trocknungsarten für die Dauben.

Dennoch hat es bis jetzt noch Niemand geschafft, den Engeln auf ihren Wolken ihren Anteil vorzuenthalten. Und frei nach Ludwig Thoma und seiner humoristischen Satire 'Der Münchner im Himmel' scheint es wohl ab und an auf den Wolken über den Brennereien beim Harfe spielen, frohlocken und Hosianna rufen, langweilig zu werden. Und so zieht es auch uns, wie den Engel Aloisius, hinunter auf die Erde um Whisky aus allen Brennereien und nicht nur 'seiner Eigenen' zu genießen. Und die Regierung wartet bis heute auf göttliche Ratschläge.

P.S.: Wegen des letzten Satzes wurde Ludwig Thoma zu einer Geldstrafe verurteilt. Das sollten Sie in seinem lustigen Werk selbst nachverfolgen (https://www.youtube.com/watch?v=FW6P_crgp8M).