Whisky ohne Altersangabe

In welche Richtung bewegt sich die schottische Whiskyindustrie?

Schottischer Whisky, und im speziellen Single Malt Whisky, befindet sich seit 20 Jahren in einem fast ungestörten Aufwind. Die Absatzzahlen wachsen von Jahr zu Jahr. Keine wirtschaftliche Entwicklung läuft völlig ungestört und so reagierte auch der Scotch-Absatz negativ auf Wirtschaftskrisen wie nach dem 11. September 2001.

Dennoch hat sich weltweit der Scotch Whisky Absatz gegenüber dem klassischen Cognac als Luxusspirituose deutlich positiver entwickelt. Die Frage lautet warum? Wir als Whiskyhändler betrachten solche Zustände sehr wohlwollend und meinen auch Gründe für die Vergrößerung des Marktanteils von Whisky gefunden zu haben.

Französischer Cognac hat eine sehr lange Geschichte. In seiner Anfangszeit war er ein Getränk des Adels. Er war in früherer Zeit so teuer, dass ihn sich das einfache Volk nicht leisten konnte. Mit der Zeit verkünstelte sich Cognac in eine komplett eigene Welt und setzte sich selbst ein Klassifizierungssystem (VS, VSOP, XO, …), das ohne sich mit der Materie zu beschäftigen Niemandem wirklich verständlich sein konnte.

Ganz einfach, demokratisch und leicht verständlich gibt sich dagegen der Scotch Whisky mit seiner Altersangabe. Jedem Konsumenten leuchtet unmittelbar ein, dass ein 18-jähriger Whisky teurer sein darf als ein 10-Jähriger. Der Whiskyexperte weiß natürlich, dass es auch Gegensätzliches gibt. Doch dies ist eher die Ausnahme, denn die Regel.

Amerikanischer Kentucky Straight Bourbon und Tennessee Whiskey verzichten genauso wie einfache schottische Blends auf eine Altersangabe. Und damit wundert man sich nicht, dass diese Flaschen deutlich geringere Verkaufspreise im Markt erzielen. Wie soll der einfache Genießer entscheiden, ob ein teurer Bourbon ohne Altersangabe für 30 Euro wirklich um so viel besser ist, als ein Whiskey für 9,99 Euro aus dem Supermarkt? Der Konsument findet dafür keinen Anhaltspunkt auf dem Etikett. Deshalb wundert es nicht, dass diese amerikanischen Whiskeys und schottischen Whiskys ohne Altersangabe eine Menge Werbung benötigen, um den potenziellen Konsumenten irgendwelche abstrakten Vorteile wie Langsamkeit und/oder Entspannung 'rüberzubringen. Dass mit diesen riesigen Werbeausgaben die Qualität eines Whiskys bzw. Whiskeys nicht unbedingt steigt, sollte jedem Genießer bewusst sein.

Wenn man sich als Whiskyhändler den Spirituosenmarkt als ganzes betrachtet, so kann man Aufs und Abs erkennen. Vor rund zehn Jahren boomte Wodka. Und da es nur sehr wenige Genießer gibt, die die feinen Aromen dieser hoch destillierten Spirituose erfassen können, musste man sie mit allen möglichen und unmöglichen Aromen und künstlichen Farben versetzen. Eine Reihe aromatisierter Wodkas nahm sich im Regal wie ein Wasserfarbenkasten aus. Auch hier war das begleitende Marketinggetöse gewaltig. Vor allem ging es um Reinheit und Kälte. Blaue, weiße und kühle Werbesettings waren und sind immer noch üblich.

Doch die Karawane zog weiter. Gin wurde In und auch für Tequila wurde eine größere Anzahl an Hollywood-Stars als Testimonials verpflichtet. Bei all diesem Marketing ging es nicht um Geschmack und natürliche Aromen, sondern um das schnelle Geld.

Szenenwechsel. Mehr als 90% allen schottischen Whiskys werden über acht globale Megakonzerne verkauft. In diesen Konzernen gilt es, das Portfolio - also die angebotenen alkoholischen Getränke - so aufeinander abzustimmen, dass man möglichst viele Synergieeffekte erzielt. Nach dem Motto: Alles aus einer Hand. So kann der potenzielle Kunde in einem One-Stop-Shopping für seinen Club oder Restaurant bei nur einem Lieferanten alle Getränke ordern. Nur das Bier liefern diese Konzerne auf Grund der angespannten Gewinnsituation nicht.

Die verschiedenen Spirituosensegmente bringen zudem noch den Vorteil der Absicherung gegen den Zeitgeist. Ist Gin In, dann verkauft man eben weniger Wodka. Und wenn Cognac nachlässt, dann setzt man mehr auf Whisky. So ticken Großkonzerne.

Leider gibt es dabei ein physikalisches Problem. Während man Wodka und Gin in kurzer Zeit in beliebigen Mengen herstellen kann, benötigt Whisky einen Vorlauf von mitunter Jahrzehnten. Wenn also Wodka, Tequila und Gin etwas schwächeln, dann kann man nicht einfach einen 12-jährigen Whisky aus der Schublade zaubern. Das braucht eben 12 Jahre. Und bei der Altersangabe flunkert Niemand. Wiki-Leaks ist überall.

Den Marketern und Vertriebsmanagern ist dieser Zeitverzug ein Dorn im Auge. Sie können nicht so einfach mir-nichts-dir-nichts das Pferd umsatteln. Was man vor 12 Jahren nicht vor gedacht hat, findet heute nicht statt. Und wenn man einen Blick in die Marketingabteilungen der Konzerne wirft, dann findet man dort selten Manager, die langfristig in Amt und Würden stehen. Das grundsätzliche Verständnis der Reifezeit und deren Einfluss auf ein langfristiges Marketing steht dermaßen konträr zu der heutigen, schnelllebigen Werbewelt, dass hier Fehlentscheidungen vorprogrammiert sind.

Unterstützt werden diese Fehlentscheidungen aus den Finanzabteilungen. Controller haben die Aufgabe, die Kosten für ein Unternehmen zu begrenzen bzw. zu senken. Je mehr Whisky in Lagerhäusern liegt, um so größer ist die Kapitalbindung im Konzern. Aus dieser Kapitalbindung bewegen sich eine Menge Kennziffern (KPIs) in ungewollte Richtungen. Zinsbelastungen steigen, Eigenkapitalrenditen sinken und an all diesen Zahlen hängen die variablen Anteile der Managergehälter. Wenn die Verweildauer eines Managers in einer Whiskyabteilung kürzer als 12 Jahre, die typische Reifezeit eines Whiskys, ist, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass er die Reputation des Whiskys zu Gunsten seines Bonus schwächt.

So wundert es nicht, dass mehr und mehr Whiskys der großen, schottischen Marken heutzutage ohne Altersangabe abgefüllt werden. Und was sich nicht einfach über das Alter verkaufen lässt, muss mit großem Marketinggetöse an den Konsumenten gebracht werden. Dass das nicht billig ist, haben wir vorher bereits angesprochen. Dass damit die Qualität nicht unbedingt besser wird bzw. der Preis deutlich steigt, hatten wir oben auch schon angesprochen.

Hält der Trend an, mehr und mehr Whisky ohne leicht verständliche Altersangabe auf den Markt zu bringen, so steigt der Erklärungsaufwand gegenüber dem Konsumenten, warum genau dieser nicht kühlgefilterte und im Heringsfass nachgereifte Single Malt Whisky besser als ein anderer ist. Tolle Namen und Bezeichnungen finden sich so auf den Etiketten wieder und irgendwie erinnert das am Ende an die komplexen Etiketten des Cognacs.

Ist auch dem schottischen Single Malt Whisky, wegen des Verhaltens der Konzerne, der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit vorbestimmt? Die Gefahr besteht durchaus und sie ist auch in den Konzernzentralen angekommen. Doch statt die Ausrüstung der am meisten nachgefragten Brennereien zügig auszubauen und ein paar Milliönchen in größere Lagerbestände zu investieren, passiert oft (aber nicht immer) etwas Anderes. Man beginnt den Markt zu segmentieren. Der Fachhandel soll den Whisky mit Altersangabe verkaufen. Und über die 'billigere' Schiene der Super- und Verbrauchermärkte soll der Whisky ohne Altersangabe den Konsumenten erreichen.

Doch so einfach will das nicht funktionieren. Denn die Whiskys ohne Altersangabe verkaufen sich nicht ohne mächtige Werbeanstrengungen. Es kommt zu unverständlichen Situationen, bei denen Whiskys ohne Altersangabe teurer als Whiskys mit Altersangaben werden.

Der Konsument ist vorsichtig gesagt, etwas verwirrt. Und so kommt, was kommen muss. Die Preise für Whiskys mit Altersangaben beginnen zu steigen, um den Abstand zu wahren. Das ist jedoch nicht so ganz einfach durchzusetzen, weil Konsumenten Preiserhöhungen von mehreren Zig-Prozent nicht einfach akzeptieren und sich stattdessen anderen Marken zuwenden. Also werden derzeit viele etablierte Flaschen im Erscheinungsbild verändert, um so mehr Spielraum für Preiserhöhungen zu bekommen.

Wie soll man als Whiskygenießer darauf reagieren?

Wir sehen bei unserer Kundschaft zwei Tendenzen. Die einen verweigern sich konsequent den teuren Abfüllungen ohne Altersangabe. Eine Einstellung, die ich durchaus verstehen kann. Wie sagt der Volksmund so treffend: Andere Mütter haben auch schöne Kinder.

Die anderen Kunden sehen es mehr fatalistisch und gehen rein nach dem Geschmack der Flaschen. Ist die Brennerei in der Lage, eine hervorragende Whiskyflasche ohne Altersangabe herzustellen, warum soll man sie nicht kaufen? Allerdings ist es schwierig, sich hier im Vorfeld über den tatsächlichen Geschmack eine Vorstellung zu machen. Das Marketing drückt halt gewaltig. Da ist es gut, wenn man Geschmacksbewertungen wie bei The Whisky Store in der Flaschendatenbank oder dem Shop vorfindet. Damit das alles mit der 'Weisheit der Vielen' auch gut funktioniert, sollte man sich nicht zu fein sein, seine eigenen Geschmacksbewertungen ebenfalls auf unserer Webseite abzugeben.

Während börsennotierte Konzerne ihren Quartalszahlen hinterherlaufen müssen, zeigen es privat und unabhängig geführte Brennereien wie Glenfarclas oder Glenfiddich, wie man es richtig macht. Die Investition in ein großes Fasslager ist langfristig viel preiswerter, als ein Heer von Controllern und Marketingmitarbeitern einzustellen. Während man für das werbetechnische Anpreisen einer Flasche locker über 10 Euro ausgibt, kostet die Herstellung einer 12-jährigen Flasche Single Malts inkl. sämtlicher direkten und indirekten Kosten nur zwei bis drei Euro.

Genau diese Kostenbetrachtung ist es, die zu einer wahren Gründungswelle von neuen, privaten Whiskybrennereien in Schottland geführt hat, von der ich in früheren Ausgaben dieses Newsletters schon berichtet habe. Wollen wir hoffen, dass die Kapitalausstattung der jungen Brennereien so groß ist, dass wir in den kommenden Jahrzehnten wundervoll alte Single Malt Whiskys mit Altersangaben vorfinden werden.