Ist die schottische Whiskyindustrie am Ende?

Ende Oktober 2014 schlug die Nachricht ein, wie eine Bombe. Diageo, der größte Whisky- und Spirituosenhersteller der Welt stoppt sein Investitionsprogramm in schottischen Whisky. Im Sommer 2012 hatte Diageo noch bekannt gegeben, über die kommenden fünf Jahre 1 Mrd. Pfund in seine schottische Whiskyproduktion zu stecken. Man wollte bestehende Brennereien wie Linkwood, Mannochmore, Glendullan, Dailuaine, Mortlach und andere ausbauen. Und es wurde sogar eine neue Brennerei nahe Teaninich geplant. Das soll jetzt alles vorüber sein?

Der nächste Schlag für Scotch Whisky folgte Anfang November. Der Titel des weltbesten Whiskys ging nach Japan.

Ist jetzt alles vorbei? Ist die schottische Whiskyblase geplatzt?

Bevor Sie weiterlesen, will ich Ihnen die Antwort vorab geben. Natürlich ist die Blase nicht geplatzt. An Hand der Meinung eines einzelnen Whiskyexperten (Jim Murray) wird hier eine Sau von der Presse durchs Dorf getrieben. Alle großen Nachrichtenmagazine in Deutschland brachten diese Meldung binnen 24 Stunden heraus. Wie das? War die Nachricht so wichtig? War in Japan wirklich ein Sack Reis umgefallen?

Tatsache ist, dass sich die großen Nachrichten-Magazine gegenseitig über die Schultern blicken. Und wenn einer einen interessanten Beitrag hat, dann gibt es ihn mit ähnlichem Inhalt und anderen Worten und Bildern in den nächsten Stunden auch auf den anderen Magazinen. Man hat kollektiv Angst, seine Kunden an die Konkurrenz zu verlieren. Und die Angst ist berechtigt, im vergangenen Quartal haben die überregionalen, gedruckten Tageszeitungen zwischen 10 und 18% an Abonnenten verloren. Das darf online nicht auch passieren.

Seit Jahren bemüht sich der Autor dieses Newsletters mit wenig Erfolg, die Nennung von Whisky in der Presse positiv voran zu bringen. Und nun schafft es ein negativer Artikel für schottischen Whisky von 0 auf 100 auf allen überregionalen Seiten? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Doch kommen wir nun zur Auflösung des ganzen Spuks. Die Prämierung des Yamazaki Single Malts stammt nicht von einem Gremium oder wie der Angelsachse sagt von einem Panel. Ganz im Gegenteil. Dies ist die Einzelmeinung eines Experten. Zugegeben - Jim Murray hat einen Riesenjob gemacht und mittlerweile 4.500 verschiedene Whiskys probiert. Dennoch bleibt Jim Murray ein 'Einzeltäter'. Und wie heißt es doch so schön: Über Geschmack lässt sich nicht streiten.
Alle Whiskygenießer wissen, dass man über die Jahre seinen eigenen Geschmack ausbildet. Man findet gewisse Dinge gut und andere weniger. Gäbe es einen einzelnen, besten Whisky, würden ihn alle haben wollen. Nein, so einen Whisky kann es aus Prinzip nicht geben.

Mittlerweile habe auch ich vor laufender Kamera über 1.000 Whiskys verkostet. Mit 10 Mio. Videoaufrufen habe ich auch reichlich Menschen erreicht und gelte vermutlich selbst als Experte. Dennoch maße ich es mir nicht an, den verkosteten Whiskys Punkte zu vergeben oder einen Whisky gar als den Besten zu bezeichnen. Auch wenn Zuseher öfter danach verlangen. Genauso wie wir, verdient Jim Murray in der Whiskyindustrie sein Geld. Schottische Brennereien haben ihn in der Vergangenheit dafür bezahlt, nicht nur Whiskys für Abfüllungen auszuwählen, sondern auch offizielle Whiskybeschreibungen für das Marketing zu schreiben. Um es gleich vorweg zu nehmen. Ich weiß nicht, was in Schottland gelaufen ist. Ich könnte mir aber vorstellen, dass vielleicht die Anzahl an Aufträgen an Herrn Murray aus Schottland in diesem Jahr geringer ausfiel als in anderen Jahren.

Man kann den Gedanken noch weiter ins Extrem spinnen. Wenn man einen Experten nicht zur Kreation einer Abfüllung hinzuzieht, dann kann der Whisky ja auch nicht hervorragend werden. Denn die Brennereien können ja erwiesenermaßen keinen Whisky herstellen. Das können nur Experten (kleiner Scherz).

Doch kommen wir zum zweiten Teil dieses Newsletters. Dem aktuellen Verhalten von Diageo. Warum wurden die Erweiterungs- und Neubauprojekte so überraschend auf Eis gelegt? Wo man doch noch vor einigen Monaten in den höchsten Tönen die Pressetrommel rührte? Schottischer Whisky hat in der Vergangenheit eine unglaubliche Erfolgsstory hingelegt. Der Absatz eilte von Allzeithoch zu Allzeithoch. Und dann kam das Jahr 2013. Da sanken das erste Mal die Zahlen. Was war geschehen? Nicht das Verlangen der Menschen nach Scotch Whisky war eingebrochen. Nur die tatsächliche Nachfrage. Und den größten Einfluss auf die Nachfrage hatte das neue Antikorruptionsgesetz in China. Die Absatzzahlen teuren Scotch Whiskys brachen in Folge ein, weil die zahlreichen Geschenke an chinesische Offizielle nicht mehr zulässig waren. Man würde gerne noch Whisky genießen, doch man kann oder will es sich wohl aus eigener Tasche nicht selbst leisten.

Mitte Oktober 2014 wurde die Welt von schlechten, deutschen Wirtschaftszahlen geschockt. Das schickte in Folge den deutschen Aktienindex DAX um 10% ins Minus. Und wenn Deutschland hustet, bekommt die EU-Fieber. Dabei lief doch der Bankenstresstest wunderbar für Deutschland. Doch Whisky gehört im Gegensatz zum Bankensektor in die Realwirtschaft. Hier kann man nicht mit billigem Geld alle Probleme lösen. Nein, wenn man eine Milliarde in Whiskybrennereien investiert, dann muss der kommende Absatz diese Investitionen möglichst schnell wieder amortisieren. Und danach sieht es momentan leider nicht aus. Kommt nun noch eine handfeste Wirtschaftskrise hinzu, so säße Diageo auf Überkapazitäten.

Uns Whiskygenießern wäre das ja eigentlich recht. In Zeiten der Krise sollte man hurtig weiter Whisky produzieren und aufs Lager legen. Denn nach jeder Krise folgt wieder ein Aufschwung und dann kann man mit lang gereiftem Whisky ordentlich Geld verdienen. Doch so funktionieren globale Konzerne leider nicht. Variable Vorstandsgehälter werden in der Regel an Quartalsgewinnen und -umsätzen festgemacht. Schließlich will der internationale Aktionär auch in jedem Quartal seine Dividende erhalten. Viele internationale Pensionskassen sind auf diese Zahlungen angewiesen. Sinkende Gewinne sind deshalb seitens der Konzerne unbedingt zu vermeiden.

Denkt man dieses Verhalten der Konzerne zu Ende, so stehen lange Whiskyreifezeiten und kurzfristige Dividendenausschüttung einander im Weg. Und so sehen wir immer öfter neue Whiskyabfüllungen ohne Altersangaben erscheinen. Hier liegen Produktion und Umsatz zeitlich nur wenige Jahre auseinander. Viele globale Spirituosenkonzerne haben deshalb in der Vergangenheit besonders stark ihre Wodkamarken beworben. Bei dieser Spirituose kann man (es stimmt nicht ganz) den Alkohol direkt aus der Destillationskolonne in die Flasche abfüllen. Sinkt die Nachfrage, so kann man sehr zügig reagieren.

Gereifter Whisky wird deshalb in Zukunft zu einer immer größer werdenden Herausforderung. Doch Whisky ist die 'In-Spirituose', wie der Drinks Report in einer Grafik sehr schön herausstellt. Während der Whiskymarkt in den kommenden sechs Jahren deutlich steigen wird, werden Wodka, Rum und Gin global stagnieren.

Und an dieser Stelle zeigt sich die Flexibilität der Klein- und Mittelunternehmen. Ein rundes Dutzend kleiner Whiskybrennereien hat sich seit Jahren auf den Weg gemacht, um unabhängig von den Zyklen der Wirtschaft unseren Single Malt Whisky herzustellen. Und das ist noch nicht alles. Aktuell ist bzw. wird ein weiteres Dutzend privater Brennereien in Schottland errichtet, um zusätzliche Whiskykapazitäten aufzubauen. Zwar wird es noch viele Jahre dauern, bis alte und gereifte Whiskys aus diesen neuen Brennereien auf den Markt kommen. Doch der Markt beginnt sich langsam aber sicher zu verändern.

Und so möchte ich Jim Murray, wenn auch aus anderen Gründen, zustimmen, dass die großen schottischen Whiskyhersteller ihre Hausaufgaben im Moment nicht gut machen. Das hat zwar im Moment keinen Einfluss auf die hohe Qualität der verfügbaren Single Malt Whiskys mit Altersangabe. Doch ohne wachsende Lagerbestände wird sich das Premium Whiskysegment in Bezahlbare ohne Altersangabe und Teure mit Altersangabe teilen.

Auch die von Jim Murray so gut bedachten Japaner machen da keinen Unterschied. Auch hier trägt der preisgekrönte Yamazaki Sherry Cask Whisky keine Altersangabe. Wie so viele andere neue Whiskys aus Japan auch. Zu meinen persönlichen Favoriten zählt zum Beispiel der 18-jährige Yamazaki, dessen Verfügbarkeit weiter und weiter abnimmt.

Wenn man als Genießer diese Entwicklungen im globalen Single Malt Whisky-Markt verstanden hat, dann kann man sich heute schon darauf einstellen und sich die Flaschen auf Lager legen, die in Zukunft knapp werden. Oder man wartet wohl wissend auf die kommende Krise. Dass sie kommen wird ist sicher. Bloß über den Zeitpunkt sind sich die Experten nicht einig. Sicherlich werden mit sinkender Nachfrage auch die Preise nachgeben. Und so stehen wir heute wie schon immer vor der selben Frage: Kaufen oder abwarten.